thrakische Silberschätze

thrakische Silberschätze
thrakische Silberschätze
 
Bei einem Nachtangriff tötete eine Kampfabteilung der Troja belagernden Griechen den Thrakerkönig Rhesos und sein Gefolge im Lager der mit der kleinasiatischen Stadt Verbündeten. Unter den Beutestücken riefen die goldstrotzenden Rüstungen der Gemordeten und die prächtigen Geschirre der rassigen Rösser höchstes Erstaunen und Bewunderung hervor. Diese Episode aus der Ilias Homers ist die älteste Erwähnung der Thraker, einer Völkergruppe, die, nach Stämmen unterteilt, einen großen Teil der Balkanhalbinsel von der Donau bis zur Ägäis und vom Struma bis zum Schwarzen Meer sowie den Nordwesten Kleinasiens bewohnte. Schon in der Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. hatte dieses am Schnittpunkt Europas und Asiens gelegene Gebiet dank seiner hoch entwickelten Bronzemetallurgie eine wichtige Position eingenommen und mit der mykenischen Kultur im Austausch gestanden. Reichtümer sammelten sich bei den Stammesführern an, die gleichzeitig militärische Führer und oberste Priester waren. Durch das Vordringen neuer Völker aus dem Norden, das durch die dorische Wanderung auch in Griechenland zum Untergang der mykenischen Adelsgesellschaft beitrug, wurde diese Periode im 12. Jahrhundert v. Chr. abrupt beendet. Zeugnis eines gewaltsamen Angriffs auf die Thraker ist der eilig vergrabene Hort von Sakralgefäßen, der bei Waltschitran in Nordbulgarien gefunden wurde. Er stellt ein aus 2,5 kg Gold gefertigtes dreinzehnteiliges Kultservice aus fünf Trinkgefäßen, sieben deckelförmigen Schlagbecken (Zimbeln) und einem dreiteiligen Trankspendengefäß dar, die in mykenischem Stil mit Nieten und Wellenbanddekor verziert sind.
 
Nach den dunklen Jahrhunderten, in denen sich die thrakische Gesellschaft neu formierte und an deren Ende im 7. Jahrhundert v. Chr. griechische Kolonien am Westufer des Schwarzen Meeres entstanden, wurden alte Kontakte neu geknüpft. Hierbei spielte das Perserreich eine bedeutende Rolle. Beim Zug des Dareios gegen die Skythen (512 v. Chr.) bildete Ostthrakien die Nachschubbasis; Südthrakien wurde unter Xerxes zum Aufmarschgebiet für den Zug gegen Griechenland. Der Südosten des Landes blieb über 30 Jahre lang unter persischer Hoheit. In dieser Zeit nahm Thrakien viele künstlerische Anregungen aus Vorderasien auf: so wurde das Trinkhorn (Rhyton), die orientalische Prunkaxt als Machtsymbol und der Typus der sich wappenartig gegenüberstehenden Tiere übernommen. Am Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. entstand die Nekropole bei Duwanli (Südbulgarien), in deren sehr reich mit Beigaben ausgestatteten Fürstengräbern prachtvolle persische Gefäße gefunden wurden. Sie gelangten als Geschenke an verbündete Thrakerfürsten ins Land, besonders als die Perser Anfang des 5. Jahrhunderts den Zug nach Griechenland vorbereiteten und zu den nordthrakischen Landesfürsten gute Beziehungen suchten. Die Siege der Griechen über die Perser (480 und 479 v. Chr.) beendeten die persische Periode der thrakischen Geschichte, und griechischer Einfluss begann zu dominieren.
 
Zu den skythischen Nachbarn im Nordosten bestanden ebenfalls Verbindungen, die bald zu kriegerischen Auseinandersetzungen, bald zu dynastischen Ehen führten und sich auch auf die Kunst auswirkten. Da bei beiden Völkern das Pferd eine wichtige Rolle spielte, kam es zu wechselseitigen Beeinflussungen vor allem in der plastischen Verzierung der Geschirrteile durch Edelmetallplatten als Wangen- und Stirnschutz und als Abdeckung der Riemenverbindungen. Bei aller Vorbildwirkung des Skythischen stellt Thrakien jedoch eine eigenständige »Tierstilprovinz« mit eigenen, bis in die Bronzezeit zurückreichenden Wurzeln dar. Die Tierwirbel aus Raubtier-, Pferde- oder Vogelköpfen finden in Skythien ihre Parallelen, doch sind sie im thrakischen Tierstil kräftiger, weitflächiger und klarer strukturiert ausgeführt. Offenbar besaßen beide Völker eine verwandte, auf sehr frühe Zeiten zurückreichende Grundlage ihrer Weltsicht, in der die im Wirbel symbolisierte Bewegung in der Zeit und eine weibliche Fruchtbarkeitsgottheit, dargestellt mit in Löwen- oder Drachenköpfen endenden Schlangenfüßen, tragende Elemente waren.
 
Unter den nach dem Ende der Perserherrschaft entstandenen thrakischen Königreichen erlangte das der Odrysen im Südosten des Landes die größte Bedeutung. Durch intensive Handelsverbindungen zu Griechenland wuchs der Reichtum der Herrscher, die nun an griechische Werkstätten Aufträge zur Anfertigung von Prunkgefäßen und Schmuck erteilten. Die griechischen Meister passten sich dem thrakischen Geschmack an, führten die beliebten vorderasiatischen Motive aber in eigener Manier aus. Außer als Grabfunde kamen solche Schätze der Fürstenhöfe und Heiligtümer in Nord- und Südbulgarien zufällig zutage; sie sind um die Mitte des 4. Jahrhunders v. Chr. fast überall im Lande vergraben worden. Anlass dafür war die Expansion des Makedonenstaats, der unter Philipp II. der Blütezeit der thrakischen Reiche ein gewaltsames Ende bereitete.
 
Unter diesen in Silber meist von Griechen ausgeführten Meisterwerken der Toreutik befinden sich auch Zeugnisse urwüchsiger thrakischer Kunst wie die Serie von Schmuckplatten im Hort von Letniza, auf denen ein thrakischer Heroenmythos als Bildfolge dargestellt ist. Hinter der ungelenk wirkenden Darstellung verbirgt sich ein mythologisch-ideeller Inhalt, der uns nicht erschließbar ist, wurde doch über die thrakische Weltsicht fast nichts überliefert. Ähnlich eigentümlich thrakisch ist auch die Darstellung auf einer Beinschiene aus einem Grab in Wraza, in der das griechische Gorgonenhaupt in eine thrakische Göttin mit Löwenschlangen und Greifen im Tierstil umgedeutet wurde. Eines der schönsten Werke griechischer Toreuten ist ein in einem Grab des frühen 4. Jahrhunderts v. Chr. bei Rosowez gefundenes Silberrhyton in Form eines naturalistisch gestalteten Rehkopfes. Am Gefäßhals ist ein dionysischer Zug dargestellt, der wie das Reh als Opfertier zum Kult des Weingottes gehörte, der nach einer Sagenversion von Thrakien nach Griechenland gekommen sein soll. Ein neunteiliges Kultservice aus Gold im Gewicht von 6,1 kg befand sich in dem während der Kriegswirren am Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. bei Panagjurischte in Südbulgarien vergrabenen Hort. Seine Rhyta sind als Tier- und Frauenköpfe gestaltet und in Treibtechnik reich verziert. Stilistisch wurden hier persische und griechische Elemente miteinander verschmolzen. Sehr wahrscheinlich dienten die Gefäße bei Kulthandlungen, wie die beiden Öffnungen (Weinspender) im Unterteil eines amphorenförmigen Gefäßes zeigen, aus denen bei Abschluss von Verträgen oder beim Vollzug des Bruderschaftsritus gemeinsam getrunken wurde.
 
Nach dem Tode Alexanders des Großen unter der Herrschaft des Makedonen Lysimachos stehend und nach der Unterwerfung Makedoniens durch Rom in einer von inneren Fehden bedrohten Unabhängigkeit lebend, geriet Thrakien dann in den Einflussbereich der neuen Großmacht Rom und wurde im 1. Jahrhundert n. Chr. zu einer römischen Provinz. Die thrakische Kunst ging in der des Weltreichs auf.
 
Dr. Burkhard Böttger
 
 
Schätze aus Thrakien, bearbeitet von Gerda von Bülow. Aufnahmen von Wolfgang G. Schröter. Leipzig 1985.

Universal-Lexikon. 2012.

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